Schollenspiel – eine Idee

Scholle
Der Karneval der Rollenspielblogs dient mir unter anderem immer wieder als Impulsgeber, um ältere Konzepte fertig- oder zumindest vorzustellen. Passend zum von Neue Abenteuer organisierten Thema „Wo wohnst du? – Die Gruppe und die Heimatbasis“ ist mein Auge dabei diesen Monat auf Schollenspiel gefallen.

Eine erste schriftliche Zusammenfassung hierzu gab es 2011, zu Beginn von d6ideas, als das Blog noch ein Forum als Backend und „Redaktionsplattform“ besaß. Zu diesem Zeitpunkt muss das Konzept bereits eine längere Weile gereift sein, hatte auf jeden Fall schon seinen Namen erhalten, so dass es mittlerweile wohl beinahe zehn Jahre sein mögen, die mich diese Idee immer wieder einmal beschäftigt.

Schollenspiel bringt eine Reihe von Themen zusammen, die mich allgemein interessieren und die zumindest teilweise auch schon in ganz anderen Artikeln hier auf d6ideas durchgeschienen haben sollten. In diesem Fall sind es kampflose Herausforderungen (also Abenteuer und Szenen, die nicht um gewalttätige Konflikte herum aufgebaut sind, aber trotzdem taktische Entscheidungen erfordern und mit entsprechenden Regeln unterlegt sind), auf Familie aufsetzende Gruppenstrukturen und Charaktererschaffung (also Gruppen, in denen alle oder ein Großteil der Charaktere Blutsverwandte sind oder aber anderweitig starke, vorbestehende Bindungen zueinander haben), Isolation der Spielercharaktere (kein oder nur minimaler Kontakt mit Nichtspielercharakteren und damit einhergehend ein besonderes Augenmerk auf die Interaktion der Spielercharaktere untereinander und mit ihrer Umwelt – an Stelle der Gesellschaft), sowie dezente fantastische Elemente (nicht zwangsläufig schwach oder verborgen, aber in Kontrast zu den Spielarten einer Dungeonpunk-, Magie-als-Alltagstechnologie- und Superheldenästhetik).

Worum aber geht es jetzt genau?

Schollenspiel soll die Spieler in die Rollen einer (Klein-)Bauernfamilie schlüpfen lassen, die ihren einsamen, von Wildnis umringten Hof bestellen. In dieser Umgebung sollen sie mit Gefahren und Herausforderungen konfrontiert werden, die vom gewöhnlich Alltäglichen bis zum fantastisch Übernatürlichen reichen, und die sie ohne Rückgriff auf die Möglichkeiten und Hilfsmittel bestehen müssen, die in Fantasyrollenspielen ansonsten häufig zum Standardrepertoire gezählt werden.
Sie sind eben gerade keine Truppe kampferprobter Helden oder Söldner, gut gerüstet mit Zauberschwertern und -schilden und mächtiger Schlachtenmagie, noch haben sie die Wahl, eine erkannte Gefahr einfach zu umgehen, oder sich zurückzuziehen und neu zu ordnen, ehe sie ihr ein weiteres Mal entgegentreten.
Das muss nicht heißen, dass es sich bei ihnen nicht um außergewöhnliche, heldenhafte Individuen handeln darf (niemand sagt, dass Bauer Ilja von der Ochsenfurt nicht der stärkste Mann des Reiches sein kann), aber sie sind und bleiben Bauern, mit Prügeln und Mistgabeln als Waffen, einer Lederkappe als Helm, und den Umschlägen einer Kräuterfrau als magischer Unterstützung. Ihr Leben und Überleben hängen an ihrem Land, und wenn Bedrohungen aufziehen, dann müssen sie versuchen sie abzuhalten, ehe ihr einziges Hab und Gut, alles, wofür sie gearbeitet haben, in Schutt und Asche gelegt wird und sie verhungern und erfrieren müssen.

Das Spiel als solches soll daher im Großen und Ganzen durch Ereignisse angetrieben werden, zum Einen berechenbaren, regelmäßigen Ereignissen, die einem groben Rhythmus von Jahrezeiten und landwirtschaftlichen Tätigkeiten folgen, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Aussaat und Ernte, Aufzucht und Schlachten, zum Anderen aber von unvorhergesehenen oder doch außergewöhnlichen Ereignissen, Schwierigkeiten und Möglichkeiten, die sich im Laufe des Jahres ergeben: Vielleicht sind es die klischeehaften Räuber (oder Orks) im Wald – bloß ohne die durch ein glückliches Schicksal hierher geführten Helden -, vielleicht zieht tatsächlich ein leibhaftiger Drache eine Spur der Verüstung durch den Landstrich, vielleicht gefährden Dürre oder Fäulnis die Ernte, vielleicht ist der nächstgelegene Nachbar schwer erkrankt und braucht Hilfe, wenn er eine Chance haben soll, seine Familie über den Winter zu bringen, vielleicht fühlt sich eine Hexe ungerecht behandelt und verflucht die Tiere, oder ein Herrscher schickt Werber aus für seinen nächsten Krieg, vielleicht ist der Brunnen ausgetrocknet, weil jemand die Brunnenfee beleidigt hat, vielleicht fängt die Scheune nach einem Blitzschlag Feuer, vielleicht begehren eines regnerischen Abends eine Gruppe seltsamer Reisender ein Lager für die Nacht, …
Das Angebot vielfältiger, interessanter Ereignisse halte ich dabei für den eigentlichen Schlüssel für eine eventuelle spielbare Version von Schollenspiel in Zukunft. Weit mehr noch als die Regeln, auch wenn diese – neben einem Zufallsmechanismus, um das Eintreten eben der Ereignisse unter Einbeziehung der Handlungen der Charaktere zu ermitteln – ebenfalls einige Bedingungen erfüllen sollten.
Für viele Bereiche ließen sich problemlos bestehende Regeln heranziehen, aber land- und hauswirtschaftlichen wie handwerklichen Tätigkeiten kommt hier natürlich eine besondere Bedeutung zu. Gefragt ist also auch ein Wirtschafts-/Managementsystem, und zwar eines, das den Einfluß individueller Handlungen und gegebenenfalls Charakterwerte miteinbeziehen kann. Da das Spiel und die Ereignisse einen Teil ihrer Dynamik aus dem Wirtschaftsaspekt ziehen sollen, da sie ihn entweder direkt betreffen, oder aber da sie in Konkurrenz um begrenzte Ressourcen treten (lieber einen Kampf riskieren oder lieber den Räubern die Vorräte geben?, lieber die Zeit nutzen, um eine zweite Scheune zu bauen oder lieber zu dem wundertätigen Einsiedler pilgern teilnehmen?, …). Das aber verlangt zum einen nach Relevanz der Ergebnisse des Wirtschaftssystems, zum anderen danach, dass auch seine Anwendung Futter für den Spieltisch bietet (mithin sich nicht auf völlig triviale Entscheidungen beschränkt).
Es mag gut und schön sein, dass der Charakter ein wahrer Scharfschütze mit einer Steinschleuder ist… …aber was nutzt das, wenn ihm das Korn unter den Händen verdorrt? Wenn aber alles, was nötig ist, um eine gute Ernte zu garantieren ein einzelner W6-Wurf (mit einem Bonus von +5 für gutes Wetter und einem Malus von -1, weil der Charakter das ganze Jahr über im Wald herumgerannt ist und Goblins gejagt hat und sein Feld nicht einmal aus dem Augenwinkel angeschaut hat), dann geht dieser Aspekt potentiell unter, ebenso wenn es einfach das Abstreichen von ein paar der üppig vorhandenen Manapunkte erfordert, der ganzen Gruppe einen vollen Bauch und einen erholsamen Nachtschlaf herbei zu zaubern.

Soweit die Idee. Vielleicht wird ja innerhalb der nächsten zehn Jahre etwas daraus.

3 Kommentare


  1. Ich finde die Idee solcher Themenrunden extrem reizvoll, weil sie andere Aspekte einer Spielwelt beleuchten, die sonst verborgen bleiben. Mal den einfachen Bauer und seine Familie zu spielen, die eben nicht alles mit Schwert und Zauberei lösen können, aber eben den gleichen Gefahren strotzen müssen wie edle Helden, das ist einfach ein ganz neues Erlebnis!
    Ich denke auch, dass die Wirtschaftssimulation das größte Problem sein dürfte. Persönlich würde ich es mal mit einem Erzählrollenspiel versuchen, nur, um herauszufinden, was von den Spielern dabei als interessant angesehen wird. Quasi als Milieustudie… Wenn man dann raushat, was am Schollenspiel das erzählerisch spannende ist, kann man versuchen passende Mechanismen zu entwickeln, wenn man beim Spielen eben gerne nicht einfach erzählen, sondern eher simulieren will.
    Dein letztes Beispiel illustriert gut das Problem. Lässt man einen einzelnen Wurf über Wohl und Wehe entscheiden, kann das zu extremen und unrealistischen Ergebnissen führen. Benutzt man aber z.B. Sammelproben über ein ganzes Jahr (Man muss für die Feldpflege z.B. einmal im Monat oder der Woche würfeln), kommt zwar ein glaubhafter Mittelwert heraus, die einzelne Probe verliert aber an Bedeutung.

    Meine spontane Idee: Worker Placement. Man hat X Personen auf der Farm und 0 bis [Größe aller Felder] können gleichzeitig beim Farmen (oder Holzschlagen oder Bauen oder Kräuter sammeln) helfen. Jeder Helfer gibt einen Punkt oder einen Würfel dazu oder so. So verteilt man alle Leute auf alle Aufgaben am Anfang des Monats. Dann passieren Sonderereignisse, die man tatsächlich ausspielt. Jeder Arbeiter der daran teilnimmt, kann seiner eigentlichen Aufgabe diesen Monat nicht richtig nachgehen und man verliert seinen Bonus für diesen Bereich. Also muss man sich immer überlegen, kann man sich es leisten etwas anders zu tun als die Scholle zu bestellen?
    Dazu legt man bestimmte etwas abstrakte Ressourcen fest: Nahrung, Holz, Baumaterial/Werkzeuge, Kräuter, Gold. Die oben eingesetzten Arbeiter bringen Betrag X dieser Ressourcen rein, verbrauchen aber auch Betrag Y (z.B. jeder Arbeiter 1 Nahrung oder 2 Nahrung, wenn er besonders schwer arbeitet oder so). Man rechnet nie in einzelnen Gegenständen, sondern immer nur in diesen abstrakteren Größen. Räuber überfallen den Hof? Man kann verhandeln und ihnen nur X statt Y Gold überlassen oder sie begnügen sich mit Nahrung statt Gold.
    Aus dem XCOM Brettspiel kenne ich auch die Idee, dass man bestimmte Dinge im Voraus bezahlen muss und dann nur noch mit seinen restlichen Ressourcen haushalten kann. Z.B. müsste man Tagelöhner im Voraus bezahlen für ihre Arbeit. Kann man jetzt auf Grund schlechten Wetters gar nicht weiter an seiner neuen Scheune bauen, hat man die Tagelöhner jetzt halt schon bezahlt, sie sitzen aber nur dumm rum und fressen einem die Haare vom Kopf.

    Insgesamt denke ich ist der Wirtschaftsaspekt eher wie ein Brettspiel und nur zwischendrin gibt es Rollenspielszenen auf Grund der Ereignisse in der Wirtschaftssimulation. Beide Teile wirken sich aufeinander aus, aber ich würde nicht eine einfache Fertigkeitsprobe eines einzelnen Charakters über die Makro-Ebene entscheiden lassen.

    Wow, wenn ich es nicht super spannend finden würde, hätte ich kaum so einen langen Kommentar da gelassen 😀 Ich hoffe in den nächsten 10 Jahren was dazu von dir zu lesen!

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  2. Das Regelgerüst sollte doch eigentlich genau dem von King Arthur Pendragon entsprechen: Man hat eine lange Winterphase, in der man sich um Hof und Familie kümmert, und im Sommer ist Zeit für genau ein Abenteuer – nur eben hier etwas bäuerlicher und bodenständiger.

    Auf Brettspielebene klingt es hingegen sehr nach Agricola.

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  3. Danke für eure Kommentare!

    Worker Placement im Allgemeinen und Agricola im Speziellen sind zwei gute Stichworte. Tatsächlich ist das Kitbashen eines passenden Wirtschaftsbrettspiels (zum Beispiel Agricola) mit einem passenden Rollenspiel (zum Beispiel Beyond the Wall) eine der Optionen, die ich sehr ernsthaft ins Auge fasse. Das würde es mir auch erlauben, mich hauptsächlich auf die Ereignisse zu konzentrieren (und ein bißchen Bastelei an der Verzahnung der beiden „Ausgangs“spiele).

    Pendragon ist ein interessanter Einwurf, an den ich so gar nicht gedacht hatte. Tatsächlich sehe ich da aber auch nur eine begrenzte Übertragbarkeit, da es mir bei Schollenspiel auch gerade und besonders um die Gleichzeitigkeit und Konkurrenz „wirtschaftlicher“ und „abenteuerlicher“ Handlungen und Ereignisse geht. Die klare Unterteilung in Winter und Campaign Seasons (die sich auch in einigen anderen Spielen findet) ist genau das, was ich nicht möchte.
    Bei dem Zufallsgenerator, den ich für die Ereignisse schon länger im Kopf habe, liegt dementsprechend eine Priorität auch auf einer möglichen Ungleichverteilung der besonderen Ereignisse über das Jahr (während die gewöhnlichen Ereignisse gleichzeitig relativ feste Zuordnungen bekommen sollten).

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