Ein Gespenst geht um im deutschen Rollenspiel – das Gespenst des Realismus

Gespenst
Obgleich Zornhaus Manifest hierzu eine ebenso lesenswerte wie reichhaltige Lektüre darstellt, nimmt mich doch das etwas anderes viel mehr gefangen: Der Verlauf der Diskussionen, aus denen Zornhaus Artikel hervorgegangen ist und die er angestoßen hat, und wie sehr – und in welcher Art – sie die Fragestellung nach Realismus im Rollenspiel aufweiten oder vielleicht auch ganz verlassen.

Vielleicht ist es der krasse, fast schon schwarz-weiße Kontrast, in dem die ausführlichen Überlegungen Zornhaus mit den knappen Wertungen erscheinen, aber für mich schlägt immer wieder ein einziger gemeinsamer Nenner durch:

Sie machen das Rollenspiel klein.

Sie verneinen Möglichkeiten.

Und das ist eine dieser Sachen, die mich immernoch immer wieder irritiert.

Es irritiert mich hier sogar doppelt und dreifach.

Es irritiert mich, nicht nur weil diese Beschränkungen des Rollenspiels (beispielsweise – paraphrasiert – „Simulation mit Realitätsanspruch kann kein Rollenspiel sein“ oder „Rollenspiel taugt nur dazu die Realität von Filmen, Serien und Büchern wiederzukäuen“) für mich an sich geradezu anathema geworden sind. Für mich liegt Rollenspiel gerade quer zu solchen Kategorien (ob etwas ein Rollenspiel ist und ob etwas eine Simulation ist, sind zwei völlig unabhängige Fragen) und Rollenspiel ist eben keine interaktive Version von Film/Serie/Buch (langsam glaube ich, dass dieses häufig bemühte Gleichnis mehr Fluch als Segen ist) sondern eine eigene Form, und zeichnet sich außerdem – um das auch noch mitzunehmen – gerade dadurch aus, dass es nicht nur eine Methode der Umsetzung zulässt (ob etwas ein Rollenspiel ist, hängt nicht daran ob es soziale Situationen mit „freiem Spiel“ oder mit einem „sozialen Kampfsystem“ abdeckt übrigens auch nicht daran, ob sein „Kampfsystem“ auf Würfeln, Blitzschach oder Fingerhakeln beruht).

Es irritiert mich auch, weil aus meiner Sicht die Tatsache, dass Zornhau es gerade nicht bei der Kurzfassung belässt (wir erinnern uns „Realismus? Ihr könnt doch Realismus GAR NICHT ERTRAGEN!“ – diesmal O-Ton), sondern seine Ansicht begründet und untermauert und zu diesem Zweck auch die Detailebene aufschließt, eben das, was seinen Artikel in seiner ganzen Länge rechtfertigt und was ihn so eminent lesenswert macht. Für mich als Konsumenten der Diskussionen (von meinen Zaungastkommentar hier einmal abgesehen habe ich vor, der Versuchung, in die Debatte einzusteigen, weiterhin Widerstand zu leisten) entsteht aber leider der Eindruck, dass gerade dieser Aspekt, diese Leistung nicht gewürdigt wird. Wo ist denn so etwas wie beispielsweise eine Replik auf Zornhaus Ausführungen zu traumatischen Erfahrungen von Teilnehmern an Kampfhandlungen, die sich auf Positionen und Erkenntnisse aus der (Nicht-nur-)Historikerdebatte über (Obacht!) traumatische Erfahrungen von Teilnehmern an Kampfhandlungen in der Antike stützt? Stattdessen gibt es (ich paraphrasiere wieder in bösartiger Weise) „finde ich nicht okay, was du da über Opfer von Krieg und Gewalt schreibst“ und „Realismus will eh niemand“ (schreibt Zornhau ja sogar selbst – aber eben nicht nur das), wen kümmert da schon eine ausführliche Erläuterung?

Zuletzt irritiert es mich, weil es nicht einmal nur den Umgang mit dem Thema und den Zugang über die fachkundige Betrachtung auf einer vergleisweise detaillierten Ebene verwischt, sondern weil es das Thema an sich verlässt und stattdessen eigene, andere und dabei nicht minder irritierende Themen ausbreitet, beispielsweise angebliche Fairness („reale Spielerfertigkeiten abzufordern ist kein Rollenspiel und außerdem voll unfair – außer es sind meine eigenen Fertigkeiten, dann sollen sich die anderen mal nicht so haben“) oder auch mein eigener Anfall hier, der ebensowenig mit dem Gespent des Realismus zu tun hat…

2 Kommentare


  1. Auslöser war imho eine Anfrage bei Gplus von S. Brandt u.a. an Zornhau {gut, angestoßen hat er sie irgendwie trotzdem}. Evtl. wäre ein Link sinnig.

    Realismus im Rollenspiel wollte ich am Anfang meiner Karriere einmal, mittlerweile hab ich es nicht nur akzeptiert, sondern sehe es positiv, dass es ein Spiel ist, welches abstrahiert. Lebenspunkte, Stufen, Klassen – was ein Quark, aber was für geniale Mechanismen …

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    1. Ein Link zum ursprünglichen G+Stream findet sich bei Zornhau.
      (Aus diesem Stream gibt es dann noch einen Link zum Folgestream mit der Frage nach Realismus sozialer Interaktionen. Separat dazu gibt es auch noch eine Diskussion im RSP-Blogs-Forum, die auch wieder weiterverlinkt…)

      Was den Realismus angeht, entsetzt mich ja gar nicht so sehr, ob sich den nun jemand für sein eigenes Spiel wünscht oder nicht, sondern die Behauptungen das sei irgendwie intrinsisch mit Rollenspiel an sich verknüpft (egal in welche Richtung – auf „das ist ja so unrealistisch, das ist kein Rollenspiel mehr!“ reagiere ich genauso wie auf „Simulation kann kein Rollenspiel sein!“).

      Und eine verpasste Chance, sich auf der Detailebene darüber auszutauschen (oder auseinanderzusetzen), ist es außerdem. Zumal Zornhau in meinen Augen hier der schwierige Balanceakt gelungen ist, einerseits in die Tiefe zu gehen, sich aber nicht in technischen Details zu verlieren (was in „Realismus“debatten dann ja ganz schnell in ellenlangen Vergleichen von Mündungsgeschwindigkeiten und Geschoßenergie endet…).

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