Glückskeks – ein Hong Kong Action-Rollenspiel

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Hong Kong Action ist ja so ein diffuses Genre beziehungsweise eine Ästhetik, die immer wieder einmal von Rollenspielen bemüht wird.

Mein Eindruck ist, dass sich solche Spiele meist darauf konzentrieren, Regeln zu liefern, die es ermöglichen sollen explosive Kampf- und Actionsequenzen schnell und dynamisch abzuwickeln.

Als Nebeneffekt führt das dann aber häufig dazu, dass die Charaktere in diesen Spielen nicht nur von einem explosiven Kampf zum nächsten, sondern dabei auch von Sieg zu Sieg eilen.

Das deckt sich für mich aber nicht mit dem, was ich aus den Vorlagen mitnehme.

Hier sehe ich ganz im Gegenteil Hauptfiguren, die regelmäßig verlieren, schrecklich zugerichtet werden (nicht nur körperlich sondern auch emotional), und dann am Ende auch noch ihr Leben opfern (oder einfach so draufgehen).

Und das leisten die Spiele, über die ich im Hong Kong Action-Feld stolpere, einfach nicht.

Glückskeks ist ein ziemlich rudimentäres Rollenspiel für Hong Kong Action, das genau diese Lücke schließt.

In Glückskeks geht es also um Charaktere, die so lange blutig geschlagen werden, bis sie etwas finden, für das es sich zu sterben lohnt.

Spielvorbereitung

Ein paar Sachen passieren vor dem eigentlichen Spiel, oder haben nichts direkt mit dem Ablauf zu tun. Glückskeks braucht einen Spielleiter und mindestens einen Spieler.

Setting & Szenario
Hong Kong Action. Denkt euch gemeinsam was aus, oder lasst den Spielleiter die ganze Arbeit machen.

Charaktere
Denkt euch gemeinsam oder jeder für sich einen aus. Aufschreiben mag helfen, ist aber nicht notwendig. Charakterbogen oder Erschaffungsregeln gibt es auch hinten im Regelabschnitt keine. Wichtig ist nur das Konzept. Am besten arbeiten alle Charaktere zusammen (es ist auch so schon alles schlimm genug).

Spielmaterial
Glückskekse. Einer für jeden Spieler. Nicht essen. Es sei denn ihr wollt sterben.

Symbole
Der Glückskeks repräsentiert das Leben des Charakters.

Das Zettelchen im Glückskeks repräsentiert das, wofür es sich wirklich zu leben (und zu sterben) lohnt.

Regeln

Im Zentrum der Regeln von Glückskeks stehen zwei Dinge – was in den einzelnen Szenen des Spiels passiert (wer was wie erzählen darf) und die Sache mit dem Keks.

Der Keks
Wie oben erwähnt steht der Keks für das Leben eines Charakters. So lange sein Spieler noch seinen unbeschädigten (weder zerbrochen noch aufgegessen) Keks hat, lebt der Charakter. Er hat aber auch noch nicht erkannt, was ihm das Wichtigste im Leben ist.

Die Szenen
Üblicherweise leitet der Spielleiter jede neue Szene ein. Als Grundlage benutzt er entweder das Szenario, was er sich während der Vorbereitung ausdenken musste, oder er greift die Anregungen der Spieler (aus der vorhergehenden Szene) auf. Jede Szene sollte einen Konflikt (nicht zwangs- aber vorzugsweise einen gewalttätigen) zwischen den Charakteren und ihrer Umwelt beinhalten.

Auf’s Maul
Den Verlauf dieses Konflikts können die Spieler nach Herzens Lust und Laune ausschmücken und beschreiben – Bösewichte verprügeln, feindliche Gangster erschießen, Teehäuser demolieren und Fabriken in die Luft sprengen.

Den Ausgang des Konflikts und der Szene darf allerdings der Spielleiter beschreiben.

Dieser Ausgang muss so gestaltet sein, dass der oder die Charaktere „verlieren“. Sie müssen am Ende merklich schlechter dastehen, als am Anfang, ganz egal wie sehr sie in der eigenen Beschreibungsorgie abgeräumt haben.

Nur der Tod ist offensichtlich zu gut für sie. Schließlich haben sie ja ihre Kekse und damit ihr Leben.

Wenn also die Szene damit begonnen hat, dass die Charaktere mit ihren Familien beim Picknick überfallen werden (Spielleiterbeschreibung, nachdem die Spieler erwähnt haben, dass sie sich nach der letzten Katastrophe nach Normalität sehnen), dann geht sie damit weiter, dass die Charaktere mit den Gegnern nach allen Regeln der Kunst den Boden aufwischen (Spieler, mit großem Hurra), und endet damit, dass die Charaktere im Nachgang des Kampfes feststellen müssen, dass ihre Kinder weg sind (Spielleiter (der berechenbare Schuft)).

Den Keks Essen
Um Herauszufinden, was dem Charakter das Wichtigste ist, muss sein Spieler an das kleine Zettelchen. An das kleine Zettelchen kommt er offensichtlich nur, wenn er seinen Keks kaputt macht. Seinen Keks zerbrechen (und danach aufessen) darf ein Spieler zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Spiel.

Die Rückblende
Das Lesen des Zettelchens löst eine separate – eingeschobene – Szene in Form einer Rückblende aus, in der der schlaue Spruch schon einmal den Weg des Charakters kreuzt (beispielsweise in Form eines Glückskeks, bei seinem letzten Essen). Diese Rückblende kommt ohne Konflikt aus. Der Charakter ist danach auch nicht noch schlimmer dran als vorher.

Der Moment des Triumphs
Nach seiner Rückkehr in die Gegenwart, weiß der Charakter jetzt was zu tun ist (er realisiert nun was das Erlebnis in der Rückblende wirklich zu bedeuten hat).

Der Spieler – und nicht der Spielleiter – darf den Ausgang/das Ende der Szene beschreiben, in er den Keks gegessen hat.

Dieser Ausgang muss so gestaltet sein, dass er den schlauen Spruch aus dem Keks in irgendeiner Form aufgreift.

Ab jetzt – also bei jeder folgenden Szene – genießt das Leben des Charakters keinen besonderen Schutz mehr. Für den Spielleiter bleibt die Verpflichtung, alles schlimmer zu machen, aber bestehen. Der Tod bietet sich im Nachgang also geradezu an (es sei denn der Spieler nimmt seinen Charakter direkt selber mit).

Das war’s.

Spielvarianten

Und weil es das schon war, hier noch ein paar Variations- möglichkeiten:

Glückskeks nach Rezept
Wer ein bisschen mehr Kontrolle über den eigenen Charakter (oder als Spielleiter über das Setting/Szenario) haben möchte, der will sich vielleicht nicht auf kommerzielle Weisheiten aus dem asiatischen Supermarkt verlassen. Glückskekse lassen sich wunderbar selber machen, inklusive Zettelchen. Also einfach Sprüche selbst aussuchen und aufschreiben und dann vor dem Spiel ab in die Küche.

Spielleiterloses Glückskeks
Die normale Version von Glückskeks teilt einem die unangenehme Rolle zu, sich ständig schreckliche Dinge auszudenken, die den anderen nicht etwa zustoßen können sondern müssen, und mit denen er versuchen muss, sie so weit zu treiben, dass sie es nicht mehr ertragen können/zurückschlagen wollen, egal wie die Konsequenzen aussehen.

Wenn darauf niemand Lust hat, dann lässt sich diese undankbare Aufgabe auch auf alle Schultern verteilen. Jeder macht sich einen Charakter (und kriegt einen Keks), und Szenen werden reihum begonnen und beendet (der Erste beginnt, der Zweite beendet und beginnt die nächste Szene, der Dritte beendet sie und startet …). Hier ist die Verpflichtung es schlimmer zu machen besonders wichtig. Der Charakter des jeweiligen Szenenbeenders kann ausgespart (bei der Szene nicht anwesend/eingebunden) sein.

Glückskeks-Deathmatch
Wieder gibt es keinen Spielleiter, wieder gehen die Szenen reihum. Die Charaktere arbeiten hier nicht mit- sondern gegeneinander, und die Spieler genauso. Letztlich ist diese Variation zwar der „logische“ nächste Schritt, als ernsthaftes kompetitives Spiel aber ziemlich wertlos – wer als erstes den Keks knackt gewinnt (bei zwei Spielern) oder verliert (bei mehr als zweien). Tic Tac Toe ist da letztlich spannender. Wenn, dann kann es also auch nur um die Hong Kong filmmäßige Erzählung gehen.

Combo-Glückskeks
Wer sich mehr als ein Erfolgserlebnis pro Spiel wünscht, der kann das Knacken des Kekses und das Lesen des Zettelchens auch auseinander dividieren. Es gibt einen ersten Moment des Triumphs (mit Rückblende, aber ohne Aufgreifen des Spruches) beim Keksknacken. Danach ist er aber noch weiter vor dem Tod gefeit. Der Spieler darf zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt einen zweiten Moment des Triumphs einlösen, diesmal unter Rückgriff auf den Spruch auf dem Zettel (Zettel im Anschluss wegwerfen oder dem Spielleiter übergeben). Erst jetzt ist er zum Abschuss freigegeben.

Nulldiät-Glückskeks
Wer keine Glückskekse und keine Hong Kong Action mag, aber trotzdem das Konzept von den sich immer weiter auftürmenden Widrigkeiten, bis man das findet, wofür man das eigene Leben zu riskieren bereit ist, der kann Setting und Keks auch fahren lassen, und einfach ein anderes Symbol/Pfand verwenden, bei ansonsten unverändertem Mechanismus.


Selbstgeschriebene Rollenspiele sind übrigens auch Thema beim noch immer laufenden Rollenspielkarneval im Februar. Insofern passt das ja.

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