Die Teilzeithelden schreiben über das Böse – und erst einmal auch nichts Weltbewegendes. Die vom Verfasser des Artikels vertretenen Ansichten sind bekannte Standards – das Böse in seinen verschiedenen Formen ist potentiell antisozial bis zur Interaktionsunfähigkeit und damit uninteressant, vorhersehbar und damit langweilig, willkürlich und damit nicht ernstzunehmen, unrealistisch und damit nicht darstellbar. Erst in der sich in einer Grauzone bewegenden ausdifferenzierten Figur, deren Gewissenskonflikte die Möglichkeit zur wenigstens teilweisen positiven Identifikation bieten, werden solche Mängel beseitigt und kann das Böse vielleicht eine kleine, sorgfältig abgezirkelte Rolle am Spieltisch übernehmen.
Das alles sind wie gesagt bekannte Standpunkte und liefern damit eigentlich keine Notwendigkeit für eine weitere Auseinandersetzung oder gar Replik.
In den zunächst ebenfalls wenig überraschenden Kommentaren zum Artikel findet sich dann allerdings doch ein Gedanke, der in dieser Form vielleicht nicht zum gängigen Repertoire der Foren-, Stammtisch-, und Conventiondiskussion gehört.
Der Verfasser des ursprünglichen Artikels selbst ist es, der, auf das Phänomen der Stigmatisierung von Spielern, die das Böse im Spiel nicht ablehnen (oder am Ende vielleicht gar zelebrieren), Bezug nehmend, folgenden Vergleich bemüht:
„Die Debatte ähnelt der um Videospiel-Gewalt und ist ähnlich stigmatisiert“
Und genau dieser Vergleich ist dann eben durchaus eine etwas weiterführende Betrachtung wert. Denn diesem Vergleich fehlt etwas, etwas das vielleicht auch erklärt, weshalb ein Artikel mit einer klareren Positionierung für das Böse zum Beispiel eventuell möglich aber selbst für seine Freunde nicht unbedingt wünschenswert sein könnte.
Zunächst einmal scheint der Vergleich aber ja zu funktionieren:
In beiden Fällen geht es um Brandmarkung.
Der Spieler von „Gewaltspielen“ wird für diese Spielvorliebe angefeindet.
Dem Spieler des „Bösen“ ergeht es ebenso.
Die jeweilige Spielvorliebe wird von einer sich mal mehr mal minder lautstark einbringenden Gruppe als problematisch, vielleicht sogar verwerflich angesehen, die diese Vorliebe teilenden Spieler beziehen Gegenpositionen.
Es geht um den Ruf, das Ansehen der Spielvorliebe und gegebenenfalls auch der Personen der Spieler.
Das ist beiden Situationen sicherlich gemein.
Ebenfalls gemein scheint ihnen zu sein, dass die Diskussion zunächst scheinbar von den Gegnern der jeweiligen Vorliebe ausgeht, und die Befürworter sich in einer „Verteidigungsposition“ befinden oder zumindest wähnen, aus der heraus sie versuchen das besagte Ansehen vor weiterer Beschädigung zu schützen oder es wiederherzustellen. (Ob und wie richtig das ist, steht noch einmal auf einem anderen Blatt.)
Viel entscheidender als diese Gemeinsamkeiten erscheinen aber die Unterschiede:
Da ist zunächst die Natur der beiden Diskussionen – die Diskussion um Videospielgewalt ist eine öffentliche, die Diskussion um das Böse im Rollenspiel jedoch eine Binnendiskussion.
Der potentielle Schaden bewegt sich alleine dadurch in ganz anderen Dimensionen, denn in dem einen Fall werden die Spieler vor der Gesellschaft gebrandmarkt, im anderen aber „nur“ vor einem kleinen – und fachkundigen – Kreis.
Dieses Schadenspotential nimmt sogar noch gewaltigere Ausmaße an, wenn wir bedenken, dass die öffentliche Diskussion am Ende sogar Einfluß auf die Verfügbarkeit und im schlimmsten Fall die Entwicklung und Herstellung von „Gewaltspielen“ nehmen könnte. Für den Videospieler steht damit nicht mehr nur ihr Ruf, sondern die grundlegende Möglichkeit, seiner Vorliebe überhaupt noch nachgehen zu können, auf dem Spiel.
Vor diesem Hintergrund ist er geradezu gezwungen, sich der Diskussion zu stellen, weil er sonst alles zu verlieren droht – und andersherum durch höhere gesellschaftliche Akzeptanz, die sich auch positiv auf die Entscheidungen der Hersteller auswirken kann, auch einiges zu gewinnen hat.
Es ist nun aber genau dieser entscheidende Aspekt, der im Rollenspiel so gut wie völlig fehlt.
Der Natur des Rollenspiels ist es geschuldet, dass der einzelne Spieler beziehungsweise die einzelne Spielrunde in der Wahl der bespielten Inhalte nicht von Herstellern abhängig ist. Welche Charaktere, welche Abenteuer, welche Konflikte, Geschichten, welche Regeln und Quellen „wir“ verwenden, das ist uns völlig freigestellt, ist unsere eigene, individuelle Entscheidung und Verantwortung.
Anders als der Videospieler, der sein von Anderen mit hohem auch wirtschaftlichen Aufwand geschaffenes Spiel erwerben muss, um es spielen zu können, können wir unser Spiel jederzeit mit Papier und Bleistift selbst erschaffen.
Die diskutierte Gewalt des Videospiels steckt im Produkt. Das diskutierte Böse des Rollenspiels… …steckt in unserem Kopf.
Damit aber fehlt sowohl die besondere Bedrohung als auch der besondere Anreiz, die den Videospieler dazu auffordern in die Diskussion einzusteigen. Denn im Falle der Diskussion um das Böse im Rollenspiel gibt es nichts wesentliches zu verlieren und erst recht nichts zu gewinnen – außer dem eigenen Ruf.
Der wiederum lässt sich aber auch anstrengungslos wahren, indem schlicht keine sonderliche Thematisierung der kritisierten Spielvorliebe versucht wird (beziehungsweise nicht darauf eingegangen wird).
Vielleicht ist da noch die utopische Idealvorstellung, dass am Ende einer „erfolgreich“ geführten Diskussion tatsächlich eine allgemeine Akzeptanz des Bösen am Spieltisch stehen könnte – der Kampf gegen die Stigmatisierung aus Prinzip heraus. Möglicherweise ein ideeller Gewinn, dem aber ein potentiell konkreter Verlust entgegensteht.
Die Frage ist, ob dann ausgerechnet dieses Thema den Schaden – und die Mühe – wirklich wert ist, oder ob es nicht zielführender und einfacher – für alle Beteiligten – ist, dabei zu bleiben, dass das, was jeder in seinem eigenen Schlafzimmer macht, eigentlich keinen etwas anzugehen braucht.