Nach Yimrheim – eine Rezension?

Nach Yimrheim
Yimrheim, Stadt des milden Winters.
Yimrheim, Welt auf dem Rücken des von Maden zerfressenen Riesen.
Yimrheim, der vor mir aufragende Koloss.

Yimrheim, das ist eine Ergänzung zu Beutelschneider von Roland Hofmeister (auch bekannt als Dnalor [the Troll]) – eine von mittlerweile zahlreichen solcher Ergänzungen aus seiner Feder.

Kalte Fakten

Yimrheim ist ein neunseitiges, knapp 3.500 Wörter zählendes pdf. Das pdf ist zweispaltig gesetzt und beinhaltet keine Illustrationen.

Es ist in fünf große Abschnitte, inklusive Einleitung und Anhang, und mehrere Unterabschnitte gegliedert. Yimrheim verfügt über ein Inhaltsverzeichnis, jedoch keinen Index.

Die Veröffentlichung erfolgte am 6. Dezember 2018 im Rahmen des von Roland selbst ausgerichteten Themas „Kopfkino und Tagträume“ beim Karneval der Rollenspielblogs.

Yimrheim steht unter CC-BY 3.0 DE Lizenz.

Das pdf kann hier auf Dnalors Blog heruntergeladen werden.

Lesen in den Eingeweiden

Sichtlich und offen, wie von Roland selbst in der Einleitung dargelegt, inspiriert von der blutigen Körperlichkeit nordischer Mythologie und diese wortwörtlich statt über Andeutungen und ihrerseits mythologische Weltgeschichten in eine Weltbeschreibung überführend, mit aus Blöcken versteinerten Fleisches gefügten Mauern und Wäldern als Körperbeharrung, breitet Yimrheim auf sechs seiner neun Seiten den an der Küste des Polarmeeres ruhenden Körper eines toten Riesen und die von ihm geformte Landschaft ebenso vor uns aus, wie die seine noch warme Leiche besiedelnden Wesenheiten, ihre Werke, Stätten und Ziele und ihre Beziehungen untereinander, mit der Außenwelt, und mit dem Riesen selbst.

Besonders hervorheben möchte ich, wie Roland dabei mit stets nur einigen Sätzen, manchmal wenigen Worten gleichzeitig ein dichtes Beziehungsgeflecht und zahlreiche Ansätze für das eigene Spiel ausspinnt, ohne dabei eine offizielle Wahrheit oder einen einzigen richtiger Lösungsweg zu präsentieren. Stattdessen lässt er stets Freiräume, in die hinein sich eigene Gedanken und die Handlung am eigenen Tisch entfalten können.
So erfahren wir zwar von gegenseitigen Beschuldigungen seiner Witwen, den letzten Herrscher ermordet zu haben, auch von den politischen Konsequenzen und wichtigen Beziehungen, und von Möglichkeiten als Außenstehender einzugreifen, aber wir erfahren eben nicht, wer den Rigjom tatsächlich ermordet hat oder aus welchem Motiv heraus. Wir können so das vorgefertigte Setting zu unserem eigenen machen, und so, wie Yimrheim einer Inspiration entwachsen ist, können wir uns wieder selbst von ihm inspirieren lassen. Hier schließt sich also ein Kreis, weniger innerhalb Yimrheims als vielmehr um es – als Produkt, als Artikel, als Idee – herum.

Die Liste dieser kurzen Elemente, die in ihrer Summe (und über diese hinaus) Yimrheim ausmachen und die Welt jenseits des von den Armen des Riesen umschlossenen Hafens andeuten, ist lang und zieht sich bis in den Anhang hinein, der vordergründig Regeln für Seefahrt beinhaltet, in den Regeltexten, Anwendungsbeispielen, Schiffsbeschreibungen und Bestiariumseinträgen versteckt allerdings nur noch weitere Information zu Yimrheim und seinen Bewohnern, seiner Wirtschaft, den Handelsbeziehungen und der Außenwelt liefert. Darüberhinaus gesellt sich hier im letzten Absatz des pdfs noch offen ein Stückchen Cthulhu-Mythos der nordischen Mythologie hinzu, was, verbunden mit der zuvor eingeführten, expliziten Verortung des eisigen Yimrheims in der Südpolarregion, Gedanken an Edgar Allan Poes denkwürdige Erlebnisse des Arthur Gordon Pym als so etwas wie den Vorläufer des Mythos wach ruft.

Ein unangebrachtes und kleinliches Wort zur Rechtschreibung und ein weiteres zum Layout

Ich bin zwar selbst der letzte, der in dieser Angelegenheit mit Steinen werfen könnte, ohne dass es kalt und zugig wird, aber der Vollständigkeit sehe ich mich doch genötigt, zu erwähnen, dass Yimrheim an einigen Stellen das fehlende Korrektorat deutlich anzumerken ist (ich bin doppelt der letzte, der hier mit Steinen werfen könnte, da mir sogar eine Vorabversion zur Verfügung stand, so dass ich selbst zumindest ein rudimentäres Korrektorat hätte liefern können, was ich aber unterlassen habe).

Das schlichte zweispaltige Layout mit den farblich abgesetzten Überschriften und Zwischenüberschriften und den eingeschobenen Kästen für NSCs mit Werten und andere Regelelemente ist angenehm funktional, enthält aber einige leere Flecken, die so aussehen, als ob sich hier unbeabsichtigt Text verschoben hätte. Bei der relativen Kürze des pdfs zwar verschmerzbar, aber gerade im Zusammenhang mit dem vorhandenen Inhaltsverzeichnis erscheint zudem das Fehlen von Seitenzahlen wie eine weitere kleine Unachtsamkeit.

Mein eigener Bezug

Gerade die ungeschönte Körperlichkeit von Yimrheim* fasziniert mich und macht Yimrheim zu genau der Art von einer unterliegenden, hier geradezu wortwörtlich viszeralen Besonderheit durchzogenen und geprägten Spielwelt, wie ich sie mir als Beispielwelt für Beutelschneider immer vorgestellt, aber bisher nie selber zu Stande gebracht habe.
Roland schafft es, hier mit bestechender Klarheit zwei – völlig getrennte – Nerven bei mir zu treffen, die mich lange Wochen und Monate – bis heute – sprachlos zurückgelassen haben.

Hinzu kommen noch zwei weitere Aspekte, dir mir eine öffentliche Reaktion ebenfalls schwer gemacht haben.
Auf der einen Seite ist da der für mich erfrischende Umgang Rolands mit den Regeln von Beutelschneider oder besser mit Regeln für Beutelschneider. Schon wenn ich selbst an neuem Material arbeite, bin ich immer wieder überrascht davon, wie viel und was alles sich aus den Grundelementen des Spiels erzeugen lässt. Dennoch haben sich bei mir bestimmte Muster und Wege herausgebildet, mit denen ich an die Gestaltung von neuen Regeln herangehe. Roland folgt in seinem Material – und das zeigt sich auch in Yimrheim – diesen Mustern nicht. Dadurch vermag er Dinge zu erzeugen, die ich selbst niemals erstellen würde und die ich vielleicht nicht einmal erstellen könnte, Dinge, die mich immer wieder überraschen und gleichzeitig zum Nachdenken anregen, wie ich angesichts der Beschränkungen meines Paradigmas selbst wohl ähnliche Ideen verwirklicht hätte. Yimrheim und Rolands Material sind so immer wieder echte Augenöffner für mich.
Auf der anderen Seite habe ich nach wie vor eine gewisse Abwehrhaltung, nicht gegen Yimrheim, nicht gegen Rolands Material, nicht gegen dieses gerade beschriebene Ausbrechen aus meinen eigenen Regelmustern, nein, eine Abwehrhaltung gegen die Wertschätzung, die Begeisterung, die aus der Existenz und der Erstellung dieses Materials durch Roland (generell durch Dritte) auch heraus spricht. Mir ist es nach wie vor unverständlich, ja, geradezu unheimlich, dass Beutelschneider bei einigen Leuten auf diese Art von Zuspruch stößt. Vielleicht fällt es mir einfach nur schwer, das implizierte Lob vollständig anzunehmen. Vielleicht versuche ich nur, mich vor dem Aufbau von Erwartungshaltungen, fremden und eigenen, zu schützen.

Fazit

Zurück bleibt ein mich beeindruckendes und beschämendes und ein Beutelschneider hervorragend ergänzendes und erweiterndes und vor allem ein inspirierendes Setting-pdf, das ich trotz kleiner Abstriche im Korrektorat an dieser Stelle noch einmal explizit weiterempfehle.


*: das so nebenher mit seiner Ästhetik des Fleisches und den Meeresbildern willkommene Erinnerungen an die Lyrik und Prosa eines Dr. Gottfried Benn bei mir hervorruft

2 Kommentare


    1. Nein, ich danke dir!

      Mir sind beim Schreiben – und beim fürs Schreiben noch einmal Lesen – auch noch wieder ganz neue Dinge aufgefallen und in den Sinn gekommen.

      Und ich meine das ganz ernst, wenn ich schreibe, dass Yimrheim den Nagel auf den Kopf trifft, den ich selbst immer verfehle, und dass dein Material sich regelmäßig als Augenöffner entpuppt.

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