Von hier nach dort – gewöhnliche Menschen in fremden Welten

RSP-Karneval-Januar-2016
Jetzt haben wir im Ausblick auf 2016 gerade betont, dass wir allgemeine Rollenspielbetrachtungen eher zu vermeiden versuchen, und jetzt beginnen wir das Jahr doch mit einer.

Das von Michael von Weltenbauwissen vorgeschlagene und organisierte Thema „Durch unbekannte Pforten: Wege in andere Welten“ für den ersten Karneval der Rollenspielblogs in diesem Jahr schreit aber auch einfach danach.

Denn das Thema berührt eine Frage, die mich buchstäblich seit Jahren beschäftigt:

Warum ist es eine so seltene Ausgangslage in Rollenspielen, Charaktere zu spielen, die aus unserer eigenen Welt in eine fantastische Welt – beziehungsweise explizit eine Fantasywelt – verschlagen werden?

Ich spreche nicht von Charakteren, die hinter den Vorhang einer verborgenen Seite unserer Welt blicken (oder hinter diesem leben) und feststellen, dass ihre Nachbarn Feen oder Vampire oder Zauberer sind. Ich spreche auch nicht von Charakteren, die über fantastische Kräfte verfügen und mit ihrer Hilfe andere Welten bereisen.

Ich spreche von gewöhnlichen Menschen, die durch – zumindest für sie und zumindest zunächst – unerklärliche Umstände aus ihrer (unserer) Welt entrückt und an einem fremden Ort abgeladen werden.

Dieser Topos scheint mir andernorts so verbreitet – oder auch nur bekannter? – zu sein (von John Carter bis Ultima, von Narnia bis zum D&D-Cartoon), dass ich es nicht nur auffällig, sondern geradezu unverständlich finde, wie selten er mir in Rollenspielen begegnet.

Weshalb ist das nicht häufiger im Spiel? Liegt es vielleicht an der scheinbar geringeren „Distanz“, wenn Spieler und Charakter gleichsam in der gleichen Lage sind, eine fremden Welt zu betreten? Hat jemand Ideen?

7 Kommentare


  1. Interessante Frage!
    ich denke, das werde ich für meinen eigenen Artikel aufgreifen und da mal genauer drüber nachdenken und recherchieren!

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  2. Hierzu kann ich ein paar Erfahrungswerte beisteuern, da wir das in der Vergangenheit mehrmals versucht haben und es ging meistens schief. Hier ein paar Gründe:

    1) Übersetzung der Spieler-Fähigkeiten in Systemattribute. Hierbei gab es meist die ersten Verstimmungen, da es schwer ist, die eigenen Fähigkeiten zu Objektivieren. Welcher Spieler lässt sich schon gern sagen, dass er dümmer ist als der andere. Geschicklichkeit hat auch so viele Facetten, dass die naheliegendsten Tests wie Geschicklichkeitsspiele oder auf Zeit einen Faden einfädeln, nur einseitige Aspekte abdecken. Hier gabs oft den ersten kindischen Streit unter Akademikern, wer jetzt in was besser sein müsste und warum.

    2.) Weltherrschaftsphantasien: Wurden die Spieler in eine Fantasy- oder Mittelalterwelt mit niedrigerem Technologielevel versetzt, griff sofort der Größenwahn um sich („Ich erfinde das Schießpulver und den Flammenwerfer“, „ich baue eine Flugmaschine“, oder „Ich verkaufe meine Digitaluhr für Millionen Goldstücke“ etc.). Hier hat man endlose Diskussionen, weil es schwer fällt Argumente zu finden, warum der Spieler (im besten Fall noch Maschinenbauer) sein Wissen so nicht einsetzen kann. Das Abenteuer ist da meist in kürzester Zeit in den Hintergrund getreten. Versetzt man sie aber in eine Welt mit höherem Technologielevel, kümmerten sie sich oft nur darum, wie sie überlegene Technologie in unsere Welt mitbringen können um dann dort ihre Überlegenheit auszuspielen.

    3.) Ich glaube die meisten Spieler wollen sich gar nicht selbst spielen, da sie sich ja schon ausgiebig genug kennen. Auch bringt der durchschnittliche Nerd eher wenige der körperlichen Attribute mit, die man gern im RPG verkörpern möchte. So ist besonderst bei leicht übergewichtigen, unsportlichen Spielern selten die Bereitschaft da sich in einer Zombie-Apokalypse selbst zu vertreten. Auch bringt das Spielaspekte mit sich, die ich als Familienvater aus dem Rollenspiel lieber ausklammern möchte.

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    1. Deinen zweiten Punkt würde ich ja zum Beispiel eher auf der Haben-Seite verbuchen, da diese „Verführung“ so – im Gegensatz zu anderen Ausgangslagen – auf ein solides Fundament gestellt wird.

      Ansonsten meinte ich aber auch gar nicht unbedingt, dass die Spieler sich selbst spielen, sondern einfach nur Menschen, die aus unserer Welt stammen.

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  3. Es könnte daran liegen, dass zum Topos des entrückten Protagonisten die Heldenreise dazugehört: Ein gewöhnlicher Mensch kommt in eine ungewöhnliche Umgebung, um dort über sich hinauszuwachsen und Außergewöhnliches zu leisten. Vielleicht passt das nicht zum Konzept vieler Rollenspiele, denn per Definition sind die Spielercharaktere oft schon „Helden“ oder zumindest Spezialisten auf einem Gebiet.

    Sehr gut gefiel mir da die (nicht ganz ernst gemeinte Idee) aus der Patzertabelle zum RSP-Karneval von Jaegers.net: Was, wenn Spielercharaktere aus z. B. Aventurien sich plötzlich in der Welt von Shadowrun wiederfänden?

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  4. Ist das von Dir beschriebene Szenario nicht durch das Traumlande Setting bei Call of Cthulhu gegeben? Hierbei spielt man in der Tat Menschen unserer Welt, die mental in eine Fantasywelt verschlagen werden – im Schlaf oder wie auch immer.

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    1. So lange keine ausgewiesenen Träumer gespielt werden wäre das ein Beispiel, ja. Ein anderes wäre auch Grimm. Ich sage ja auch nicht, dass es das überhaupt nicht gibt, sondern dass ich das Gefühl habe, es gäbe das im Rollenspiel verhältnismäßig selten. Beziehungsweise, dass die Beispiele aus anderen Bereichen dort ungleich prominenter sind (Narnia dürfte ein wesentlich bekannterer Vertreter der Kinder- und Jugendfantasyliteratur sein, als Grimm ein Verteter des Fantasyrollenspiele…).

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