Kodierte Charaktere – ein Editorial

d6ideas dice 4Meiner Meinung nach verdient der Umstand besondere Beachtung, dass gewöhnliche Charakterwerte nicht etwa eine, sondern zwei Funktionen ausüben.

Einerseits sind sie der integrale Bestandteil der Interaktionen des Charakters mit den Regeln.

Aber auf der anderen Seite sind sie auch Träger extrem stark verdichteter Beschreibungen des Charakters.

Sie sind eine Kurzschrift, mittels der Persönlichkeit, Hintergrund und Anlagen eines Charakters beschrieben werden können.

Nicht bloß simple Zahlen und Regelbegriffe, sondern sprechende Zahlen und Begriffe.

Sie sind Codes.

Natürlich hängt dabei der relative Wert und die Aussagekraft dieser Codes vom unterliegenden System ab (abgesehen von den Fähigkeiten der Nutzer im Umgang mit ihnen).

Ein gutes Beispiel für ein Regelsystem, dass diese Eigenschaft von Charakterwerten besonders unterstützt, ist die Masse an Storyteller-/Storytelling-Spielen aus dem Hause White Wolf.

Wo jeder Punkt mit einer Beschreibung unterlegt ist, was dies außerhalb der Regeln darstellen soll, was für ein Niveau an Training oder Erfahrung dahintersteckt, und in vielen Fällen wann und wo solche Werte anzutreffen sind.

Zusammengenommen liefert so eine einzelne Zeile, bestehend aus ein oder zwei Worten und einem Satz von Punkten, eine ganze Fülle an Informationen, die von Alter und körperlicher Verfassung, zu Beruf, Bildung, sozialem Umfeld und noch weiter reichen können. In Kombination miteinander erlauben die Werte es so ein immer komplexeres Bild des Charakters zu zeichnen, ohne dafür jemals den Blick vom ausgefüllten Charakterbogen erheben zu müssen.

Ein anderes, für mich wirklich herausragendes Beispiel ist das sogenannte Charakterprofil aus Blue Planet (sowohl v2 als auch die neue Revised Version).

Dieses Profil setzt sich aus drei Schlüsselbegriffen zusammen, die die Lebenseinstellung und –ziele des Charakters in ultrakompakter Form beschreiben.

Interessant ist dabei, wie sich dies von der freien Wahl dreier Worte zur Beschreibung des Charakters unterscheidet. Indem die Schlüsselwörter von einer geschlossenen Liste ausgewählt werden, ist jedes von ihnen tatsächlich nur ein Code für eine längere und detailliertere Erklärung – und zwar eine, die jede andere Person, die mit dem „Kodierwörterbuch“ vertraut ist (oder in ihm nachschlagen kann), einen tieferen Einblick in den Charakter vermittelt als es bei den frei zugewiesenen Begriffen der Fall wäre, selbst wenn diese unter dem Gesichtspunkt, möglichst selbsterklärend zu sein, gewählt wurden.

Am Ende steht ein hohes Volumen bedeutungsvoller Informationen in einem kompakten Format, perfekt verständlich durch die Verwendung eines gemeinsamen Wortschatzes – ich brauche keine langen Hintergrundgeschichten, ich brauche gut ausgefüllte Charakterbögen.

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